Meine Seele war schwarz von Fliegenvon Vasilij BaranovHörspielSWR, MDR 1993Dauer: 1 Stunden 24 Minuten 54 SekundenIn der Frühe öffneten sie unseren Viehwaggon. Und wir erfuhren, dass wir in Dresden sind. Sie stellten uns auf, und drei Wachsoldaten führten uns durch die Stadt. Ich sah Häuser, wie ich sie noch nie im Leben gesehen hatte. Auf allen gab es irgendwelche Skulpturen. Ich erinnere mich, dass ich einmal ein Buch über Deutschland gelesen hatte. Darin hieß es, Deutschland sei das Land der Statuen und Skulpturen. Und tatsächlich. Nicht nur die Häuser waren voll, wohin man auch schaute, überall gab es Denkmäler. Wir gingen über endlosen Asphalt, und Deutsche jeden Alters beobachteten uns dabei - auf der Straße und aus den Fenstern der Häuser. Und sie zeigten mit Fingern auf uns. Wir waren mehr als 200. Und fast alle hielten den Kopf gesenkt. Nur ganz selten hoben wir unsere schweren Köpfe, um unseren Hass bis in die oberen Stockwerke zu schicken, aus denen uns tödliche Masken zu beobachten schienen. Sie lachten und zeigten auf den Letzten in unserer Kolonne. Er war völlig zerlumpt und konnte, weil ein Bein gebrochen war, nur mit Mühe gehen. Vasilij Baranov, der mit diesen Sätzen sein Tagebuch beginnt, wurde im September 1942 als Ostarbeiter nach Deutschland verschleppt. Der Siebzehnjährige schreibt auf Fahrpläne der deutschen Reichsbahn, die er in den Ritzen der Holzdielen versteckt. Ein knappes halbes Jahr führt Baranov, der überlebte und 1945 von den Amerikanern befreit wurde, Protokoll, bevor er aus physischer Erschöpfung und Verzweiflung verstummt. In seinen bisher unveröffentlichten Aufzeichnungen spricht der Junge, der vorher Musik studiert hatte, über seine Sehnsucht nach Russland, seinen Kampf gegen Hunger und Kälte und seine qualvollen Versuche zu überleben.